Figur und Portrait

Joachim Dunkel liebte das Statuettenformat, jene Größe, die nicht auf Überwältigung aus der Distanz, sondern auf die eingehende, die ganz persönliche, private Betrachtung aus nächster Nähe zielt. Tatsächlich wurde die Kleinbronze vom Künstler nie als Vorstudie oder als erster Schritt zu einer Ausführung in größerem Format aufgefaßt. Auch die lebensgroßen Figuren zeigen die Intimität der Kleinplastik.

Ein entscheidendes Merkmal von Dunkels Figurenwelt ist ihre bezwingende Kreatürlichkeit. Frauen und Männer treten beinahe ausnahmslos ohne jede Kostümierung in ihrer Nacktheit und Geschlechtlichkeit in Erscheinung. So gewinnen sie Ursprünglichkeit und Vitalität, obwohl ihr Körper nicht als Organon aufgefaßt, nicht leibhaftig funktionsbereit, sondern mehr oder weniger torsiert ist. Individuelle Züge sind sublimiert zur menschlichen Figur. Diese erlaubt uns aber kein Wir-Gefühl, im Gegenteil, irritierende Fremdheit und Distanz rufen den Eindruck von Unberührbarkeit hervor.

Die torsierten Figuren der späten Jahre ergänzte Dunkel mitunter durch Flächenformen, geschnitten aus Papier, Pappe oder Blech, um auf diese Weise, mit überraschendem Zugriff, deren körperliche Präsenz zu konterkarieren. Der Künstler wollte gewiss die sinnliche Ausstrahlung der von ihm modellierten Körper - gleichermaßen jedoch immer auch eine idolhaft anmutende Unvertrautheit und Entrücktheit. Diese steigert er von Fall zu Fall durch die Materialwahl: Gips als Endstufe.

Über einen Zeitraum von rund 50 Jahren entstanden 45 Portraits, 10 Selbstportraits und diverse posthume Köpfe. In ihrer Bindung an die flüchtige Zeichnung, die gleichwohl nicht flieht sondern eher angreift, auch anrührt, eignen sich diese plastischen Portraits nicht für ein Pantheon, eine Walhalla oder eine Ehrenbürgergalerie. Dunkels Arbeiten sind sublime Aussagen über das Gegenüber, das ohne Datenschutz, ohne den Panzer seiner Außenhaut, als verletzliches, aber auch selber verletzendes Individuum erscheint.